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Vier Jahrzehnte Bauzeit
Im Jahr 1502 trat der renommierte Baumeister Peter Ulrich in Pirna seinen Dienst an. Den Turm von 1479 nahm er als Fixpunkt seiner Planungen. Niemand ahnte zu jener Zeit, dass es mehr als vier Jahrzehnte bis zur Fertigstellung der Kirche dauern würde. Das lag einerseits daran, dass die Finanzierung mit dem Tempo der Bauarbeiter nicht Schritt halten konnte, was häufige Verzögerungen mit sich brachte. Die verschafften Peter Ulrich so viel Zeit, dass er parallel zu seinen Aufgaben in Pirna zwei weitere Baustellen übernehmen konnte: Neben einem Kirchbau in Lommatzsch leitete Ulrich ab 1507 auch den Neubau der berühmten Annenkirche zu Annaberg, bis zu seinem Tod sechs Jahre später. Zu dem Zeitpunkt stand in Pirna noch nicht einmal das komplette Kirchenschiff.
Man muss den Pirnaer Bürgern allerdings zu Gute halten, dass die äußeren Umstände für ihren Kirchbau nicht ideal waren: Zum Ende des Mittelalters nahm die Macht der Kirche ab. In Wittenberg machte sich ein Mönch namens Martin Luther weitreichende Gedanken. Diese Gemengelage führte dazu, dass die stolze Stadtkirche St. Marien erst im Jahr 1546 fertig wurde. Ihre Mauern waren noch von katholischen Arbeitern errichtet worden. Die prachtvollen Gewölbe hingegen entstanden, als Pirna längst protestantisch war. Auch aus dieser Spannung speisen sich etliche architektonische Besonderheiten, die Besucher bis heute begeistern. Hinzu kommen Kuriositäten wie der »Hobelspan«, eine völlig zweckfreie Gewölberippe im südlichen Kirchenschiff. Gedreht wie eine Locke, hängt sie von der Decke und dient wohl allein dazu, die Kunstfertigkeit der Steinmetze zu demonstrieren. Mindestens 96 dieser Handwerker waren an dem Bau beteiligt, denn so viele individuelle Steinmetzzeichen fand man bei späteren Restaurierungsarbeiten.
Johann Wolfgang von Goethe
Die Reibungen der Reformation sollten die Geschicke des Kirchbaus auch nach der Fertigstellung prägen. Die prunkvolle Gestaltung der Fenster und die farbenfrohe Ausmalung folgen im Stil noch der katholischen Tradition, allerdings mit deutlich protestantischen Motiven – eine wirklich außergewöhnliche Kombination. Der ursprüngliche Marienaltar, der aus einer der Vorgängerkirchen stammte, war mit Luthers Lehre freilich wenig kompatibel. Schon bald nach der Kirchweihe verkauften die frischgebackenen Protestanten das wertvolle Stück ins katholische Aussig. Leider trafen
statt der vereinbarten Geldsumme nur ein paar Fässer Wein in Pirna ein, deren Verkauf sich kaum auszahlte. Für einen würdigen Altar stürzten sich die Pirnaer Bürger also einmal mehr in Unkosten: 1.058 Reichstaler, 13 Groschen und 8½ Pfennige investierten sie in einen bemerkenswerten Sandsteinaltar aus den Werkstätten der Gebrüder Michael und
David Schwencke. 1614 wurde das Kunstwerk geweiht und ist bis heute der Blickfang der Kirche.
Davor und leicht zu übersehen steht der noch ältere Taufstein, wohl aus dem späten 16. Jahrhundert. Außergewöhnlich ist die Gestaltung seines steinernen Sockels. Den bevölkern 26 Figuren, die gemeinsam den Tagesablauf eines Kleinkinds darstellen – sie schlafen, essen, spielen und beten. Johann Wolfgang von Goethe entdeckte das Kleinod 1813 auf der Durchreise nach Teplitz und war so hingerissen davon, dass er seiner Gattin eine ausführliche Beschreibung schickte.
Entdeckungsreise im Gewölbe
Wer die Stadtkirche St. Marien heute besucht, erlebt den Bau strahlend renoviert nach rund 20 Jahren fortwährender Sanierung, die 2014 ein Ende fand. Die heutige Ausstattung
der Kirche geht auf die letzte große Umgestaltung aus dem Jahr 1802 zurück. Buntglasfenster und Wandgemälde wurden damals entfernt, vielleicht als letzter Akt der Protestanten gegen die prunkvolle und »zu katholische« Gestaltung. Glücklicherweise
ging auch den »Bilderstürmern« dieser Zeit das Geld aus, sodass die Deckengestaltung entgegen der Planung erhalten blieb und heute einen wunderbaren Kontrast zur betont schlichten Wandgestaltung bildet.
Ebenfalls eine genauere Betrachtung wert: die vorreformatorische Kanzel von 1520, die neben fantastisch ausgearbeiteten Hauptfiguren einige überaus originelle »Nebendarsteller« aufzuweisen hat. Genaues Hinschauen lohnt sich auch beim Blick zur Decke: Einige architektonische Ungereimtheiten wurden dort mehrfach recht kreativ gelöst. Wer noch mehr entdecken möchte, macht sich auf die Suche nach der »Wilden Frau«.
Kleiner Tipp: Ganz in der Nähe ist eine Kanonenkugel aus dem Dreißigjährigen Krieg zu sehen. Allerdings stammt dieser »Volltreffer« nicht von den schwedischen Angreifern, sondern aus einer sächsischen Kanone. Großen Schaden richtete sie nicht an, und heute beschert sie den Besuchern eine weitere Geschichte, von denen sich noch Dutzende in St. Marien finden.
Hier geht es zur Stadtkirche St. Marien: www.kirche-pirna.de
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