Oft wechselte die Oberlausitz den Besitzer. Keiner dieser Herrscher regierte jemals selbst vor Ort. So konnte die Oberlausitz viel Eigenständigkeit bewahren. Das ermöglichte auch ein friedliches Nebeneinander von Deutschen und Sorben sowie von verschiedenen Religionen. Auf deren Spuren wandelt man auf der Via Sacra, der „Heiligen Straße“, einer touristischen Route im Dreiländereck Deutschland, Polen und Tschechien.
Wie eine Perlenschnur zieht sich die touristische Route „Via Sacra“ durch die Oberlausitz bis nach Nordböhmen und Niederschlesien. Allein in Sachsen verbindet sie neun Orte miteinander, die ihren Gästen ganz bemerkenswerte sakrale Bauwerke und Kunstschätze präsentieren können. Kirchen, Klöster und einzigartige Kunstschätze aus den vergangenen tausend Jahren markieren die Höhepunkte einer Region von reicher geistlicher und kultureller Strahlkraft.
- Wer sich die „Heilige Straße“ von Westen her erschließt, erreicht Kamenz als ersten Ort der Via Sacra. Wo einst der junge Lessing lebte, verzaubern die Kamenzer Schnitzaltäre im Sakralmuseum St. Annen und an zwei weiteren Orten der Stadt. Mit St. Annen steht dem Sakralmuseum ein denkbar passender Ort für die Präsentation dieser unvergleichlichen Meisterwerke zur Verfügung. Während der Reformation So wurde die Annenkirche für Jahrhunderte zur Heimstatt evangelischer Sorben und 2011 schließlich zum Sakralmuseum, das freilich immer noch als Kirche dient und gelegentlich für Gottesdienste genutzt wird.
Gar nicht weit entfernt von Kamenz warten in der Zisterzienserinnen-Abtei St. Marienstern die nächsten Höhepunkte von kirchen- und kunstgeschichtlicher Relevanz. Im Gegensatz zum Kamenzer Kloster blieb die Abtei in Panschwitz-Kuckau auch über die Reformation als römisch-katholische Enklave erhalten. Seit 1248 wird St. Marienstern ununterbrochen von Ordensschwestern bewirtschaftet, die das „Ora et labora“ des Heiligen Benedikt tagtäglich leben. Wer einen Moment der Stille und Einkehr sucht, wird hier ebenso fündig wie Architekturliebhaber oder Kunstfreunde.
Im nahen Bautzen ragt der gotische Dom St. Petri in den Himmel über dem im mittelalterlichen Stadtzentrum. Die gewaltige Kirche dominiert den Fleischmarkt und zieht viele Blick auf sich, doch die größte Besonderheit findet sich im Inneren: Mitten durchs Kirchenschiff zieht sich ein Geländer. Spannenderweise markiert diese Trennung etwas Verbindendes, denn seit 1524 beherbergt der Dom St. Petri zwei Kirchgemeinden unterschiedlicher Konfession – als älteste und größte „Simultankirche“ Deutschlands. Die Bereiche der römisch-katholischen sind von denen der evangelisch-lutherischen Gemeinde sichtbar getrennt und erleben dennoch eine lebendige Ökumene, auf die man in Bautzen zu Recht stolz ist.
Die Dorfkirche Cunewalde ist mit ihrem 61 Meter hohen Turm unübersehbar und umgeben von schmuck hergerichteten Umgebindehäusern, in denen einst Weberfamilien ihre Heimarbeit verrichteten. Mit 2.632 Sitzplätzen zeugt die „größte Dorfkirche Deutschlands“ vom Selbstbewusstsein der Cunewalder in bewegten Zeiten. Musikenthusiasten kommen beim Klang der Orgel von Christian Friedrich Reiß aus Neugersdorf ins Schwärmen – sie gilt als das wichtigste Instrument des Orgelbaumeisters.
Dann aber lockt Zittau mit gleich zwei berauschend schönen Kunstwerken aus der regionalen Kirchengeschichte. So das Große Zittauer Fastentuch aus dem Jahr 1472: Auf mehr als 55 Quadratmetern Tuch zeigt diese meisterlich gestaltete „Bilderbibel“ 90 Szenen aus dem Alten und Neuen Testament – von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht. Kaum weniger eindrucksvoll zeigt sich, nur einen Steinwurf entfernt, das Kleine Zittauer Fastentuch aus dem Jahr 1573 im Kulturhistorischen Museum Franziskanerkloster. Auf 4,30 Meter Höhe und 3,40 Meter Breite bietet es Raum für eine monumentale Kreuzigungsszene inmitten von Symbolen Christi Leidens.
Gen Süden ist es nur eine kurze Fahrt mit der Schmalspurbahn in den Kurort Oybin. Dort vereint sich wildromantische Natur mit den malerisch verfallenen Ruinen von Burg und Kloster auf dem Felsgestein des Oybins. Beim Blick auf die einstige böhmische Königsburg und die eleganten gotischen Fensterbögen der verfallenen Klosterkirche spürt jeder Wanderer sofort, wie dieses Bild einst berühmte Künstler bewegt haben muss. Maler wie die Romantiker Caspar David Friedrich oder Carl Gustav Carus waren es denn auch, die den Oybin zu einem Sehnsuchtsort stilisierten und weithin bekannt machten.
Auf halber Strecke zwischen Oybin und Görlitz findet sich seit fast acht Jahrhunderten das Klosterstift St. Marienthal. Die Zisterzienserinnenabtei bei Ostritz ist das älteste Frauenkloster des Zisterzienserordens in Deutschland und seit der Gründung anno 1234 ohne Unterbrechung in Betrieb. Zwischen 1685 und 1756 erhielt die Klosteranlage ihr aktuelles Gesicht im böhmischen Barock, der in den vergangenen Jahren umfassend saniert wurde und heute als imposantes wie lebendiges Ensemble wirkt.
Die östlichste deutsche Station der Via Sacra bildet Görlitz mit gleich drei herausragenden Orten, die durch ihre spirituelle Bedeutung eng miteinander verbunden sind. Den ersten sieht man schon von weitem: Die Kirche St. Peter und Paul mit ihren beiden Türmen. Die gotische Hallenkirche wurde 1497 nach mehr als sieben Jahrzehnten Bauzeit fertiggestellt. Bis heute beeindruckt sie durch ihre schiere Größe, sehenswert sind die reich ornamentierte Kanzel und der Altar aus Sandstein und poliertem Stuckmarmor von George Heermann aus Dresden. Hörenswert ist dazu die berühmte „Sonnenorgel“, die auf ein Instrument von Eugenio Casparini aus dem Jahr 1703 zurückgeht und nach vielen Umbauten heute mit 6.219 Pfeifen erklingt.